Verschwörungstheorien: Ein Fall für Verfassungsschutz und Polizei?

Verschwörungstheorien haben Konjunktur, insbesondere momentan in „Corona-Zeiten“. Neben bizarren Behauptungen findet sich dabei auch immer wieder extremistisches Gedankengut, das auch strafrechtlich relevant sein kann.

Nicht jede Verschwörungstheorie ist ein Fall für die Sicherheitsbehörden. Die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit bietet breiten Raum zur Entfaltung für jedermann – auch für aus der Sicht der Mehrheit abwegige Ansichten. Eine freie Gesellschaft muss dies grundsätzlich aushalten. Wenn aber verfassungsfeindliches Gedankengut vertreten wird, Extremisten Verschwörungstheorien in ihrer Agitation nutzen oder Personen aufgrund einer Verschwörungstheorie Straftaten begehen, müssen Verfassungsschutz und Polizei zum Schutz der Gesellschaft aktiv werden.

Verschwörungstheorien nehmen an, dass bestimmte Personen oder Gruppen im Verborgenen aktiv sind. Diese würden illegitime Ziele durchsetzen wollen und Geschehnisse in der Welt in ihrem Sinne und zum Nachteil Anderer steuern. Häufig werden die offiziellen oder allgemein anerkannten Versionen von Weltereignissen wie z. B. den Terroranschlägen des 11. September 2001 angezweifelt. Da es sich bei Verschwörungstheorien gerade nicht um Theorien im Sinne wissenschaftlicher Erklärungsmodelle handelt, wurden in Forschung und Medien andere Begriffe wie Verschwörungsmythos oder Verschwörungsideologie vorgeschlagen; im allgemeinen Sprachgebrauch haben sie sich aber nicht durchgesetzt.

Verschwörungstheorien stiften vermeintlich Sinn und reduzieren Komplexität, da sie einfache Erklärungen für die komplizierte und oft widersprüchliche soziale Realität bieten. Sie geben Feindbilder vor, die für persönliche Probleme verantwortlich gemacht werden können. Verschwörungstheorien bieten auch Selbstbestätigung, da sie ihre Anhänger als Besitzer eines besonderen Wissens hervorheben, das Anderen nicht zugänglich ist. Ferner stiften Verschwörungstheorien Gemeinschaft durch die Bildung subkultureller Gruppen Gleichgesinnter, welche ähnliche Ansichten teilen. Insgesamt bieten Verschwörungstheorien ihren Anhängern einen kognitiv-emotionalen und sozialen Nutzen. Dies macht sie attraktiv; insbesondere für Menschen, die in schwierigen Lebensumständen nach Orientierung und Entlastung suchen. Hier ist auch eine große Ähnlichkeit zu extremistischen Ideologien zu finden, die im Prinzip auf ähnlichen Wirkungsweisen beruhen.

Ein aktuelles Beispiel für eine sicherheitsbehördlich relevante Verschwörungstheorie ist QAnon: Ein mit Geheimdiensten und Eliten aus Politik und Wirtschaft verbundener internationaler Pädophilen-Ring würde Kinder entführen, um sie in unterirdischen Lagern zu missbrauchen und zu foltern. Ziel sei es, aus ihrem Blut eine Art Lebenselixier zu gewinnen, den Stoff Adrenochrom.

Die Ende 2017 in den USA entstandene QAnon-Verschwörungstheorie hat sich auch in Deutschland verbreitet. Dies wurde zuletzt durch einen bekannten Pop-Sänger befördert. Er äußerte sich Anfang April 2020 in einem Video emotional zu angeblich aus pädophilen Netzwerken befreiten Kindern. Außerdem rief er dazu auf, den Begriff Adrenochrom zu recherchieren. QAnon wurde inzwischen zu einem heiß diskutierten Thema in der rechtsextremistischen Szene und im Reichsbürger-Spektrum. QAnon mündet im Antisemitismus. Die relevanten Verschwörer im Hintergrund werden als jüdisch identifiziert. Die behaupteten Kindesmisshandlungen knüpfen an seit dem Mittelalter verbreiteten antisemitischen Falschbehauptungen an: „Die Juden“ würden Kinder entführen und ermorden, um religiöse Rituale zu zelebrieren und das „Christenblut“ als Heilmittel zu nutzen.

Wie Extremisten die zunächst bizarr wirkende, letztlich aber zutiefst antisemitische QAnon-Verschwörungstheorie in ihrer Agitation nutzen ist ein Fall für den Verfassungsschutz. Er hat die Aufgabe, Gefahren durch politischen Extremismus im Sinne eines Frühwarnsystems zu erkennen und einzuschätzen. Wenn QAnon-Anhänger aus ihrer antisemitischen Grundhaltung heraus Straftaten wie Holocaust-Leugnungen begehen, wird die Polizei aktiv. Denn sie hat die Aufgabe, Gefahren abzuwehren und Straftaten aufzuklären. Nicht in den Aufgabenbereich von Verfassungsschutz und Polizei fallen dagegen andere Verschwörungstheorien ohne Bezüge zu Extremismus und Straftaten – z.B. Behauptungen, das neuartige Corona-Virus sei durch 5G-Mobilfunkstrahlung verursacht, was von profitgierigen Unternehmen aber verheimlicht werde.

Aus Sicht der Sicherheitsbehörden stellen extremistische Verschwörungstheorien eine generelle Gefahr dar. Sie können Radikalisierungsprozesse, Hasskriminalität und politisch motivierte Straftaten befeuern. Ihre Verbreitung in der Gesellschaft untergräbt das Vertrauen in demokratische Prozesse und öffentliche Institutionen und schmälert deren Integrationskraft.