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Neue Rechte

Bei der „Neuen Rechten“ handelt es sich um ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen, in dem rechtsextremistische bis rechtskonservative Kräfte verortet werden, die antiliberale bis antidemokratische Positionen vertreten und diese mit unterschiedlichen Strategien in Gesellschaft und Politik durchsetzen wollen.

Der Begriff „Neue Rechte“ ist die Selbstbezeichnung von Personen, welche sich in Abgrenzung zu der „Alten Rechten“ gedanklich und ideologisch vom historischen Nationalsozialismus lösen wollten. Entstanden ist der Begriff in den 1960er Jahren. Bereits damals stellten Teile des politisch weit rechts stehenden und rechtsextremistischen Lagers fest, dass die unmittelbare Bezugnahme am historischen Nationalsozialismus und entsprechenden Denkmustern zu politischer Erfolglosigkeit führt. Um dieser zu entgehen, wurden alternative Denkansätze gesucht. Daher beruft sich die „Neue Rechte“ im Gegensatz zu Neonazis in der Regel nicht offen auf den historischen Nationalsozialismus als Vorbild.

Vielmehr versucht sie, mit einem intellektuellem Anspruch, neue Wege im Rechtsextremismus zu beschreiten. So wird z. B. der Rassismus durch die Vorstellung einer „ethnokulturellen Identität“ der Völker, welche es zu schützen gelte, ersetzt. Als derzeit prominentester Vertreter der „Neuen Rechten“ kann die Identitäre Bewegung gesehen werden, die sich selbst als den aktivistischen Arm der „Neuen Rechten“ versteht.

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Die „Neue Rechte“ beruft sich unter anderem auf Denker der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Zeit wie auch der französischen neuen Rechten. Die bekanntesten intellektuellen Vordenker sind etwa Carl Schmitt oder Alain de Benoist. Ebenso beziehen sich Anhänger der „Neuen Rechten“ z. B. auf Julius Evola, einen italienischen Kulturphilosophen, der pro-faschistische, rassistische und antisemitische Positionen vertrat und sich gegen die moderne Welt im Allgemeinen wandte. Insgesamt sehen Anhänger der „Neuen Rechten“ neben dem Kommunismus auch den Liberalismus als eines der Grundübel der westlichen Gesellschaften, die es in der heutigen Form zu bekämpfen gilt.

Als „Sehnsuchtsort“ wird eine vermeintlich heile, vormoderne Welt entworfen, in der klare Strukturen und geordnete Verhältnisse gegeben sind. Dies schließt in der Regel einen autoritären Staatsaufbau mit einer klar gegliederten Gesellschaftsordnung mit ein. Individuelle Grundrechte würden in so einem System hinter den Bedingungen der Gemeinschaft zurücktreten. Diese Gemeinschaft wäre zudem ethnisch definiert und an einen bestimmten geographischen Raum gebunden. Im Nationalsozialismus firmierten derartige Gedanken einer Einheit von Volk und Raum unter dem Begriff „Blut und Boden“.

Als einer der jüngeren Stichwortgeber der „Neuen Rechten“ ist der Franzose Renaud Camus mit seinem Buch „Le Grand Remplacement“ zu nennen. Das Konzept dieses Austausches ähnelt stark dem „Volkstodgedanken“ klassischer deutscher Rechtsextremisten. Das Konzept besagt, dass die angestammte einheimische Bevölkerung, welche die vorherrschende ethnokulturelle Identität besäße, durch eine breite Masse von identitätsfremden Migranten ausgetauscht werden solle. Das Ziel des herrschenden Systems sei es, ein unkritisches konsumierendes Heer von identitätslosen Arbeitskräften zu schaffen. Einhergehend mit diesem „Großen Austausch“ sei die „Islamisierung“ der europäischen Gesellschaften. Daher richtet sich der Kampf der „Neuen Rechten“ nicht nur gegen die Masseneinwanderung und Islamisierung. Der systemische Hauptgegner sind in ihren Augen die liberalen/linken politischen und gesellschaftlichen Eliten, die diesen „Großen Austausch“ fördern würden.

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Rechtsextremisten der Neuen Rechten skandieren „Reconquista!“, sie raunen vom „Großen Austausch“ und fordern den Ethnopluralismus. Was sagen sie da eigentlich und was meinen sie damit genau?

Rechtsextremisten der Neuen Rechten versuchen, ihre Ideologie durch eine möglichst unverfänglich erscheinende Sprache in weitere Bevölkerungskreise zu tragen. Ihr Ziel ist es, herkömmliche negative Assoziationen und gesellschaftliche Abwehrreflexe gegenüber rechtsextremistischen Ideen und Parolen zu überwinden. Durch neue Begriffs- und Theoriekonstrukte sollen diskursive Hintertüren geöffnet, Sagbarkeitsfelder erweitert und somit eine neue Akzeptanz gegenüber extremistischen Werten und Vorstellungen geschaffen werden.

Im Folgenden werden fünf typische Begriffe aus Ideologie, Agitation und Propaganda der Neuen Rechten näher erläutert. Was sagen entsprechende Akteure und was meinen sie damit?

 

Über das Konzept des Ethnopluralismus propagieren Rechtsextremisten der Neuen Rechten eine Staats- und Gesellschaftskonzeption, bei der rassistische Motive zumindest vordergründig vermieden werden. Sie werden ersetzt durch die Vorstellung einer spezifischen „ethnokulturellen Identität“ der einzelnen Völker, welche es unbedingt vor Fremdeinflüssen zu schützen gelte. Die Konsequenz ist, dass Zuwanderung vordergründig strikt nach ethnisch-kulturellen, aber im Ergebnis letztlich nach rassistisch-biologistischen Kriterien gesteuert werden soll. Auch die Zugehörigkeit zum Staatsvolk ist demnach in einem strikt abstammungsmäßigen Sinne zu definieren. Dadurch werden Menschen ausgeschlossen, die nicht den eigenen ethnischen Voraussetzungen entsprechen. Eine ethnopluralistische Staats- und Gesellschaftskonzeption ist daher nicht mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz zu vereinbaren.

 

Mit dem Schlagwort Remigration fordern Rechtsextremisten der Neuen Rechten Maßnahmen zur Umkehrung von Flüchtlingsströmen und die Rückführung von Migranten in deren Heimatländer; fremde Einflüsse sollen so auch unter Missachtung des Rechtsstatus von Personen anderer ethnischer Zugehörigkeit als deutsche Staatsangehörige aus Europa verdrängt werden. Als ideologische Unterfütterung dienen dabei insbesondere das Ethnopluralismus-Konzept und ein damit verbundener, spezifischer Volksbegriff.

Der Begriff Volk wird innerhalb der rechtsextremistischen Szene nicht einheitlich verwendet. Teilweise vertreten Rechtsextremisten einen offen rassistischen Volksbegriff. Dabei wird auch unter Verwendung pseudowissenschaftlicher Argumentationen eine biologisch begründete Ungleichheit zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft behauptet. Daraus wird eine Überlegenheit der eigenen Gruppe bzw. des eigenen Volkes abgeleitet. Ein solches Volksverständnis wertet Menschen auf der Grundlage rassistischer Kriterien ab und schließt diese aus. Es verstößt damit gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz.

Vor allem Rechtsextremisten der Neuen Rechten nutzen dagegen häufig eine unverfänglichere Sprache, um ihre verfassungsfeindliche Zielsetzung zu vermitteln. Sie definieren den Begriff Volk oftmals als ethnisch homogene Gemeinschaft, etwa auf Grundlage ihres Ethnopluralismus-Konzeptes. Dabei wird die Forderung erhoben, diese Gemeinschaft in ihrem Bestand zu erhalten und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit auszuschließen – z. B. mittels Remigration. Obwohl hier keine explizite rassistische Abwertung von Fremdgruppen erfolgt, ist ein solcher, auf unabänderlichen völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien basierender Volksbegriff ebenfalls verfassungsfeindlich. Er verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz und die darin verankerte prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen, ungeachtet aller tatsächlich bestehenden Unterschiede.

 

„Großer Austausch“, teils auch als „Bevölkerungsaustausch“ bezeichnet, beschreibt ein auf Verschwörungstheorien basierendes Ideologieelement, wonach eine nicht näher bestimmte Elite den „Austausch“ der einheimischen Bevölkerung gegen Migranten zum Ziel habe. Teilweise wird die Verschwörungstheorie antisemitisch aufgeladen, in dem unterstellt wird, es seien Juden, die angeblich Migrationsströme nach Europa lenken, um die dort lebende Bevölkerung auszutauschen oder zu ersetzen.

 

Der Begriff der Reconquista beschreibt eigentlich die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den maurischen Herrschern. Im 8. Jahrhundert nach Christus landeten muslimische Truppen bei Gibraltar und eroberten schnell weite Teile der iberischen Halbinsel. 722 begannen christliche Machthaber mit der heute Reconquista genannten Rückeroberung der Gebiete. Die muslimische Vorherrschaft wurde langsam zurückgedrängt und endete schließlich 1492.

Rechtsextremisten der Neuen Rechten nutzen den Begriff der Reconquista, um eine Parallele von der heutigen Zeit zum Mittelalter zu ziehen: Die angestammte Bevölkerung Europas sei durch außereuropäische Zuwanderer aus fremden Kulturen bedroht. Wenn deren Einflüsse auf Religion, Lebensweise, Sprache etc. nicht zurückgedrängt würden, sei die europäische Kultur und Identität dem Untergang geweiht.

Der Begriff Reconquista wird durch die Identitäre Bewegung auch zur Beschreibung ihrer eigenen politischen Strategie genutzt. Er bezeichnet dabei die Eroberung der Deutungshoheit im politischen und gesellschaftlichen Diskurs (als sogenannte metapolitische Macht) zur Erlangung tatsächlicher politischer Macht, um so den Ethnopluralismus durchzusetzen zu können.

 

„Great Reset“ (deutsch: „Der große Neustart“ oder „Der große Umbruch“) ist ursprünglich eine Initiative des Weltwirtschaftsforums aus dem Jahr 2020, welche die Herausforderungen der Corona-Pandemie als potenziellen Impulsgeber für eine nachhaltigere Neugestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft und den Abbau globaler Ungleichheit betrachtet.

Insbesondere in der Protestszene gegen die Corona-Schutzmaßnahmen werden unter Bezugnahme auf diese Initiative derzeit unterschiedliche Versionen einer Verschwörungstheorie verbreitet. Die Corona-Pandemie sei als Teil eines groß angelegten Plans zur Zerstörung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen und der Wirtschaft zu begreifen – mit dem vermeintlichen Ziel, eine „Weltregierung“ zu errichten.

Die verschwörungstheoretische Darstellung der Weltwirtschaftsforum-Initiative als „globalistisches“ Projekt bietet auch zahlreiche Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten. Sie wird von Rechtsextremisten dabei nicht nur aufgegriffen und weiterverbreitet, sondern auch mit verfassungsfeindlicher Agitation aufgeladen, insbesondere mit antisemitischen Inhalten.

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