Megafon Symbolbild
© Pop&Zebra / Unsplash

Begriffe von Linksextremisten: Was sie sagen, was sie meinen

Sagen und Meinen, zwei unterschiedliche Dinge. Linksextremisten verwenden in ihrer Agitation geläufige Begriffe wie etwa Solidarität, laden diese aber mit ganz eigenen ideologischen Deutungen auf.

Die Sprache von Extremisten gleich welcher politischen Couleur wird oft mit hasserfüllten Beleidigungen, simplen Parolen und verletzender Kampfrhetorik gleichgesetzt. Diese Ausdrucksformen spielen in der Agitation extremistischer Szenen wie dem Linksextremismus tatsächlich eine große Rolle. Aber Extremisten nutzen auch geläufige Begriffe der Alltagssprache, denen sie allerdings eine ganz andere Bedeutung zuschreiben. Nachfolgend werden einschlägige Begriffe aus Agitation, Propaganda und Ideologie des Linksextremismus dargestellt und das jeweilige Szene-Begriffsverständnis näher erläutert.

Standardbedeutung

Aufforderung, zusammenzuhalten und dabei auch Interessensunterschiede zugunsten des Gemeinsamen zurückzustellen.

Szenebedeutung

Stark selektive, meist ideelle Unterstützung anderer, die ähnliche politische Ziele verfolgen oder als Opfer von Repression wahrgenommen werden.

Hintergrund

Linksextremisten dient der Begriff der Solidarität zur Beschwörung eines Zusammengehörigkeitsgefühls, aber auch zur Abgrenzung, denn Solidarität üben Linksextremisten in hohem Maße selektiv. Unter ihnen herrscht ein Denken vor, dass die komplexe soziale Realität stark vereinfachend in „gut“ und „böse“ einteilt, z. B. in Unterdrückte und Unterdrücker. Der als „gut“ verstandenen Seite gelte Solidarität, während die als „böse“ wahrgenommene Seite zu bekämpfen sei.

Der Begriff Solidarität ist eng mit der historischen Arbeiterbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbunden. Diese verstand darunter, vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Gegensatzes von Arbeitenden und Kapitalbesitzern, eine wechselseitige Unterstützung der Arbeiter untereinander – begründet auf Zusammengehörigkeitsgefühl und Eintreten füreinander. Diese materielle wie ideelle Unterstützung aus der Arbeiterklasse für die Arbeiterklasse galt als wichtige Ressource im Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit.

Der linksextremistische Solidaritätsbegriff knüpft an diesen geschichtlichen Vorlauf an. Die Konturen der historischen Kategorie Arbeiterklasse wurden aber gegen Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen fast bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Linksextremisten haben zunehmend Schwierigkeiten, „die Arbeiter“ sowohl zu bestimmen als auch mit ihren politischen Botschaften zu erreichen. Deshalb üben sie Solidarität verstärkt mit klarer umrissenen gesellschaftlichen Gruppen, die sie als marginalisiert ansehen; z. B. Asylbewerber, Schwarze oder Transsexuelle.

 

Standardbedeutung

Maßnahme oder Aktivität jeder Art.

Szenebedeutung

Politisch bestimmtes Handeln von Aktivisten im Sinne der eigenen Ideologie, wobei teils auch Gewalt akzeptiert oder sogar explizit verlangt wird.

Hintergrund

In der linksextremistischen Szene wird unter Aktion ein politisch bestimmtes Handeln auf dem Weg zur angestrebten Utopie verstanden. Diffuse anarchistische, kommunistische und sozialrevolutionäre Ideologiefragmente werden zu einem vermeintlichen Legitimationsrahmen auch für gewalttätiges Agieren vermengt. Für das Ziel, eine „herrschaftsfreie Gesellschaft“ zu errichten, greifen Linksextremisten z. B. Einrichtungen und Vertreter des Staates an; sie begehen Sachbeschädigungen an Polizeidienststellen oder verüben Körperverletzungen bei Konfrontationen mit Polizeibeamten. Solche Straftaten verklären Linksextremisten mit dem Begriff der Aktion zu wichtigen Handlungen ihres „politischen Kampfes“; sie dienen auch zur Stärkung des Szene-Zusammenhalts sowie insbesondere jungen, erlebnisorientierten Szene-Anhängern zur Sinn- und Identitätsstiftung.

 

Standardbedeutung

Unterdrückung, die einen unrechtmäßigen Charakter hat und auch gewaltsam vonstattengehen kann. Als Opfer der Unterdrückung rücken typischerweise in den Fokus: politische Bewegungen, deren Kritik oder Forderungen niedergehalten werden, gesellschaftliche Gruppen, deren Entfaltung eingeschränkt wird, oder Einzelpersonen, deren individuellen Bedürfnisse Grenzen gesetzt werden.

Szenebedeutung

Jegliche Form staatlichen Handelns, das in Freiheiten eingreift; dies geschehe stets in unterdrückerische Absicht.

Hintergrund

Linksextremisten beziehen den Begriff Repression auf jegliche Form rechtsstaatlichen Handelns, wie z. B. die Durchsetzung geltender Gesetze durch die Polizei. Aufgrund von Straftaten inhaftierte Gesinnungsgenossen werden zu Opfern staatlicher Unterdrückung und vermeintlichen „politischen Gefangenen“ stilisiert. Ihr teilweise militantes Vorgehen rechtfertigen Linksextremisten als legitime „Gegengewalt“, die im Kampf gegen die angebliche Repression des Staates erforderlich sei.

Antirepression, also der Kampf gegen vermeintliche Unterdrückung, ist ein wichtiges Aktionsfeld von Linksextremisten. Mit Solidaritätskampagnen versuchen sie, eine breite Öffentlichkeit in ihrem Sinne gegen rechtsstaatliches Handeln zu beeinflussen – z. B. gegen die Strafverfolgung von Szene-Gewalttätern oder gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei abgelehnten Bewerbern um politisches Asyl. Gleichzeitig mobilisieren Linksextremisten so die eigene Szene und spinnen identitätsstiftende Opfernarrative.

 

Standardbedeutung

Ablehnung von Faschismus und Nationalsozialismus.

Szenebedeutung

Ablehnung von Faschismus, wobei der Begriff entgrenzt und auf die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik bezogen wird.

Hintergrund

Linksextremisten verstehen unter Antifaschismus mehr als nur den Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Sie sehen die in Deutschland bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung als Ursache für Faschismus, der darin strukturell angelegt sei. Deshalb sei auch das bestehende System der Bundesrepublik „faschistisch“ und müsse bekämpft werden. Antifaschistische Aktivitäten sind für Linksextremisten immer auch Systembekämpfung, wobei Gewalt oft nicht ausgeschlossen wird.

Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Antifaschisten konkret unter Faschismus verstehen und welche Forderungen sich aus ihrem Selbstverständnis als Antifaschisten ergeben. Die zentrale Frage dabei lautet: Richtet sich die Ablehnung gegen Rechtsextremismus oder darüber hinaus auch in extremistischer Form gegen die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung?

Ursprünglich bezog sich der Begriff Antifaschismus auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Mussolinis. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die NS-Diktatur. Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entstand auch ein kommunistisch orientierter Antifaschismus. An diesen knüpft das Antifaschismus-Verständnis der heutigen linksextremistischen Szene an.

 

Standardbedeutung

Umgangssprachliche, abwertende Bezeichnung für Polizisten.

Szenebedeutung

Bezeichnung für Polizisten, die damit aber nicht nur beleidigt, sondern auch entmenschlicht werden sollen.

Hintergrund

In der linksextremistische Szene geht der Begriff Bullen über ein Schimpfwort hinaus: Polizisten wird damit ihr Sein als Individuum und Mit-Mensch abgesprochen. Sie werden als bloß funktionaler Teil eines vermeintlichen staatlichen Repressionsapparates und des kapitalistischen Systems betrachtet. „Die Bullen“ sind ein zentrales Feindbild der linksextremistischen Szene; Kooperation mit der Polizei wird als Verrat an den Gesinnungsgenossen und dem eigenen „politischen Kampf“ gebrandmarkt. Szene-intern werden fortlaufend Stereotype und Vorurteile über Polizisten befeuert, z. B. in dem Erfahrungen körperlicher Auseinandersetzungen breit thematisiert und Unterstützungshandlungen von Polizisten verschwiegen werden. Insgesamt kann sich die von Linksextremisten betriebene Entindividualisierung und Entmenschlichung von Polizisten auch gewaltlegitimierend auswirken: Wenn Anderen grundlegende Menschenrechte abgesprochen werden, sinkt die Hemmschwelle, Gewalt gegen sie anzuwenden.

 

Standardbedeutung

Prozesse sozialer Umstrukturierung in Stadteilen, die zu baulichen Aufwertungen, steigenden Mieten und einer Veränderung der bisherigen Bewohnerstruktur führen.

Szenebedeutung

Existenzbedrohender Angriff auf Wohnraum und Lebensführung von gesellschaftlichen Gruppen, die durch das „kapitalistische System“ marginalisiert würden.

Hintergrund

Der Begriff Gentrifizierung wurde durch Forschungsarbeiten der Stadtsoziologie in den 1960er Jahren populär. Er leitet sich ab von dem englischen „gentry“, was niederer Adel bedeutet. Angehörige dieser sozialen Schicht zogen im 18. Jahrhundert vermehrt in die Zentren britischer Städte und verdrängten dortige Bewohner.

Die Stadtsoziologie diskutiert diverse demographische, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren, die Gentrifizierung bedingen. Die linksextremistischen Szene verengt die gesellschaftliche Komplexität solcher Prozesse auf eine Ursache: den Kapitalismus. Durch das Profitstreben skrupelloser Unternehmer und den Lebensstil einer reichen Oberschicht würden sozial Schwächere in den Städten ins Abseits geschoben. Linksextremisten interpretieren Gentrifizierung als existenzbedrohenden Angriff auf Wohnraum und Lebensführung von weniger finanzstarken Arbeitern, Studenten, Künstlern, Migranten, Arbeitslosen etc. Dagegen müsse man sich im Sinne einer Selbstverteidigung zur Wehr setzen. Autonome Linksextremisten befürworten dabei auch Gewalt. Sie sehen insbesondere Immobilienmakler, Investoren und Bauunternehmer als Treiber von Gentrifizierung und erklären deren Büros, Fahrzeuge und Maschinen zu legitimen Zielen militanter Angriffe.

 

Standardbedeutung

1) Das Vorherrschen militärischen Denkens in der Politik; 2) die Beherrschung zivilen Lebens in einem Staat durch militärische Institutionen.

Szenebedeutung

Prägung von Staat und Gesellschaft durch das Militär, wobei dieser Begriff sehr breit verstanden wird; „militaristisch“ sei quasi alles, was mit Regeln, Uniformierung und Sicherheit zu tun hat.

Hintergrund

In der linksextremistischen Szene ist die 1907 veröffentlichte Militarismus-Theorie des marxistischen Politikers Karl Liebknecht prominent. Danach diene Militär dazu, international kapitalistische Expansionsbestrebungen gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und national den Kapitalismus und dessen „Ausbeutungsstrukturen“ zu stabilisieren. Vor diesem Hintergrund pflegen Linksextremisten einen so genannten Antimilitarismus, worunter sie die Ablehnung alles Militärischen verstehen.

Linksextremisten werden immer wieder auch in pazifistischen Initiativen und Bündnissen aktiv, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Im Gegensatz zu pazifistischer Militär-Kritik geht es ihnen aber nicht nur um Frieden und eine Abschaffung von Streitkräften, sondern in letzter Instanz um die Beseitigung der bestehenden politischen Ordnung.

 

Standardbedeutung

Bezeichnung der weltweit vorherrschenden Wirtschaftsform: Produktionsmittel sind in Privatbesitz und das Wirtschaftsgeschehen wird über den Markt gesteuert, also mittels Wettbewerb sowie Angebot und Nachfrage.

Szenebedeutung

„Grundübel“ quasi aller gesellschaftlichen Problemlagen, die durch das kapitalistische Wirtschaften und Politiktreiben verursacht würden.

Hintergrund

Für Linksextremisten ist der Begriff Kapitalismus mehr als nur die Bezeichnung einer Wirtschaftsordnung. Sie setzen ihn gleich mit der Gesamtheit staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen in einer parlamentarischen Demokratie. Der Kapitalismus wird von Linksextremisten als „Grundübel“ angesehen. Armut, Kriminalität, Umweltverschmutzung, Rassismus – quasi alle gesellschaftlichen Problemlagen werden auf „den Kapitalismus“ und das ihn stützende politische System zurückgeführt.

Linksextremisten verfolgen deshalb einen so genannten Antikapitalismus. Dabei sollen im Gegensatz zur legitimen Kapitalismuskritik nicht nur Defizite am Wirtschaftssystem benannt und Reformvorschläge entwickelt, sondern mit dem Wirtschaftssystem auch Staat und Gesellschaft vollständig umgewälzt werden. Ob anarchistisch oder kommunistisch orientiert: linksextremistischer Antikapitalismus hat basierend auf seinem spezifischen Verständnis des Kapitalismusbegriffs immer die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie als so genannte „bürgerliche Herrschaftsform“ zum Ziel.

Linksextremistischer Antikapitalismus stellt für Linksextremisten auch ein Einfallstor in bürgerlichen Protest dar. Dies zeigt sich z. B. bei Umwelt- und Klimakampagnen. Mit Slogans wie „Capitalism will never be green“ oder „System change not climate change“ versuchen Linksextremisten, ihr Verständnis von Kapitalismus als „Kernproblem“ der modernen Welt in demokratische Protestbewegungen einzubringen.

 

Standardbedeutung

Entwicklung eines weltweit wachsenden Austauschs von Gütern, Kapital und Dienstleistungen über staatliche Grenzen hinweg und eine damit einhergehende Verflechtung nationaler Gesellschaften.

Szenebedeutung

Von den Industrienationen betriebene Internationalisierung des Kapitalismus, um Entwicklungs- und Schwellenländer politisch zu kontrollieren und wirtschaftlich auszubeuten.

Hintergrund

Linksextremisten nutzen den Begriff Globalisierung nicht als neutrale Beschreibung der seit Jahrzehnten zu beobachtenden Entwicklung zunehmender weltweiter Vernetzung. Sie interpretiert ihn stets im Sinne ihrer Ideologie. Obwohl Linksextremisten grundsätzlich Nationalstaaten und Grenzen ablehnen, sind sie Gegner der Globalisierung. Sie sehen darin einen rein ökonomischen Prozess, der von wirtschaftlich starken Industrienationen vorangetrieben werde, um Entwicklungs- und Schwellenländer politisch zu kontrollieren und wirtschaftlich auszubeuten. Um dem Einhalt zu gebieten, müsse die kapitalistische Wirtschaftsordnung zusammen mit den bestehenden politischen Systemen parlamentarischer Demokratie in der westlichen Welt abgeschafft werden.

Kritik an Globalisierungsprozessen ist legitim und nicht per se linksextremistisch. Politiker, Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Aktivisten weisen seit Längerem auf Probleme der Globalisierung hin: Multinationale Unternehmen könnten z. B. durch die Verlagerung von Produktionsstätten niedrigere Standards bei Umweltauflagen und Arbeitsrecht ausnutzen oder sich steuerlichen Verpflichtungen entziehen. Linksextremisten fordern über solche Kritik weit hinausgehend nicht nur die Beseitigung der bestehenden wirtschaftlichen sondern auch der politischen Ordnung.

nach oben