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Ideologien

Ideologisch greifen die zwei Hauptströmungen des Linksextremismus, der Kommunismus und der Anarchismus, im Wesentlichen auf den französischen Ökonomen und Soziologen Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) zurück. Proudhon stellte im Kontext der Ausbeutung der Arbeiterschaft während der industriellen Revolution 1840 in seinem gleichnamigen Werk die Frage: „Was ist Eigentum?“. Seine Antwort auf die Frage ist noch heute weltbekannt: „Eigentum ist Diebstahl.“ Proudhons Ziel war eine herrschaftsfreie, dezentral organisierte Gesellschaft, in der jeder nur das besitzt, was er durch eigene oder kollektive Arbeit hergestellt oder durch Tausch erworben hat. Die Lehren von Karl Marx und Michail Bakunin, den Vordenkern des Marxismus be-ziehungsweise des Anarchismus, wurden maßgeblich durch die Ideen Proudhons beeinflusst.

Alle linksextremistischen Ideologien verfolgen das Ziel, die herrschende, als imperialistisch oder kapitalistisch diffamierte Staatsordnung zu überwinden und an ihre Stelle eine sozialistische bzw. kommunistische oder anarchistische Gesellschaftsform zu setzen. Unterschiede zwischen den Ideologien gibt es hinsichtlich der zu diesem Ziel zu beschreitenden Wege.


Michail Bakunin
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Anarchismus ist eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Allen anarchistischen Strömungen ist die Forderung gemein, den Staat als Herrschaftsinstitution abschaffen zu wollen – und zwar unabhängig von seiner demokratischen oder diktatorischen Ausrichtung. Häufig schließt eine solche Auffassung eine grundsätzliche Ablehnung von Institutionen jeder Form ein.

Anarchisten sehen Bürokratien, Kirchen, Parteien, Parlamente und Vereine als Einrichtungen, die einem freiwilligen Zusammenschluss von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Diese Ablehnung von Hierarchie und Unterordnung hat zur Folge, dass Anarchisten sich selbst in der Regel nur schlecht organisieren können, lediglich lose strukturierte Gruppierungen bilden und die Gründung einer anarchistischen Partei ablehnen.

Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus war Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814-1876), ein russischer Revolutionär und Anarchist, der in Westeuropa lebte und von dort aus weltweit wirkte. Bakunin strebte nach einer herrschaftsfreien, dezentral organisierten Gesellschaft. Zur Umsetzung seiner Ideale setzte er auf gewaltsame Revolutionen. Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhundert der sogenannte „Anarcho-Syndikalismus“, ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat oder Industriellen dezentral verwalten.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges, der kommunistischen Revolution in Russland, dem Aufstieg des Faschismus in Italien und während des Zweiten Weltkrieges verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Als historisch prägend gilt jedoch der „kurze Sommer der Anarchie“, als im Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 anarchistische Vorstellungen teilweise und regional für kurze Zeit verwirklicht werden konnten. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte der Anarchismus im Rahmen der „68er“-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf anarchistische Ideen berief.

Eine weitere Strömung des Anarchismus stellt der individualistische Anarchismus dar, welcher aktuell in Teilen der linksextremistischen Szene an Zuspruch zu gewinnen scheint. Hier steht der einzelne Mensch mit seiner absoluten Freiheit „zu tun und zu lassen, was er möchte“ im Zentrum des politischen Denkens. Individueller Egoismus wird dabei offensiv bejaht, auch wenn dieser zulasten anderer geht. Als bedeutendster Vordenker gilt im deutschsprachigen Raum Johan Caspar Schmidt (1809 bis 1856), der vor allem unter dem Pseudonym „Max Stirner“ publizierte. Der individualistische Anarchismus steht sozialistischen wie kommunistischen Lehren beziehungsweise Gesellschaftsentwürfen rivalisierend bis feindselig gegenüber. Aus anarchistischer Perspektive bringen diese Ansätze lediglich sozialistische Staatsgebilde hervor, die, ebenso wie der bürgerliche Staat, die Freiheit des Einzelnen ungerechtfertigter Weise einschränkten.

Die Haltung von Anarchisten zur Gewalt ist ambivalent. Je nach Vordenker lassen sich unterschiedliche Ausrichtungen feststellen. Heute werden Anarchisten vor allem mit Attentaten im 19. Jahrhundert auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Verbindung gebracht. Vertreter eines heutigen „aufständischen Anarchismus“ („Insurrektionalismus“, von lateinisch „sich gegen etwas erheben“) betrachten sich selbst als revolutionär-kämpferische Avantgarde.

„Aufständischer Anarchismus“ umfasst eine gegen den Staat gerichtete Aktionsform, deren Strategie auf dem Prinzip des permanenten Angriffes sowie der Befeuerung von Klassenkonflikten basiert. Hier steht zudem der einzelne Mensch mit seinem Willen und seiner Handlungsfreiheit im Zentrum des politischen Denkens. Individueller Egoismus wird dabei positiv bewertet, auch wenn sich hieraus Nachteile und Einschränkungen für Andere ergeben können. „Aufständische Anarchisten“ sind daher auch bereit, Straftaten zu begehen und Gewalt anzuwenden.

Eine weitere Strömung des Anarchismus ist der sogenannte „grüne Anarchismus“ oder auch „Anarcho-Primitivismus“, der insbesondere im Kontext der Klimaschutzdebatte innerhalb der linksextremistischen Szene zunehmend an Zuspruch erfährt. So gab sich beispielsweise die Publikation „Zündlumpen“ in seinen letzten Ausgaben betont fortschritts- und technologiefeindlich und ließ deutliche anti-zivilisatorische anarcho-primitivistische Vorstellungen erkennen. „Anarcho-Primitivismus“ basiert auf der Annahme, dass sämtliche gesellschaftlichen Zusammenhänge unweigerlich zur Bildung von Hierarchien führen. Hieraus ergebe sich ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Zivilisation und Herrschaft, sodass eine herrschaftsfreie Gesellschaft allein durch die Zerstörung der Zivilisation erreicht werden könne. Insbesondere der technische Fortschritt wirke sich negativ auf die Menschheit aus, da dieser angeblich Entfremdungstendenzen befeuere. Anarcho-primitivistische Strömungen fordern daher die Abkehr vom technologischen Fortschritt und propagieren eine Rückbesinnung auf das „einfache Leben“, um sämtlichen Herrschaftsstrukturen die Machtbasis zu entziehen.

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Karl Marx und Friedrich Engels
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Die Lehren von Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln der meisten Linksextremisten. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Nach der marxistischen Lehre stehen sich im Kapitalismus die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten – die Eigentümer an den Produktionsmitteln – und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft – die sog. Proletarier – gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, einer Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft.

Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grund- und Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen.

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Wladimir I. Lenin
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Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870–1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden.

Auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sog. Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Macht- und Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führt. Dem Kapitalismus müsse also eine neue Gesellschaft folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung.

Allerdings verfügt die Arbeiterklasse nach Lenin nicht über das notwendige politisch-revolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des „demokratischen Zentralismus“ keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt.

Für marxistisch-leninistische Kaderparteien wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) spielt der Marxismus-Leninismus eine große, für offen extremistische Strukturen innerhalb der Partei DIE LINKE. zumindest eine prägende Rolle.

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Josef W. Stalin
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Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878–1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum diktatorisch- bürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum („Bourgeoisie“) eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Auf- und Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden u. a. die „stalinistischen Säuberungen“ legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind.

In Deutschland berufen sich die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) und der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) auch auf die Ideen Stalins.

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Leo Trotzki
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Das auf Leo Trotzki (1879–1940) zurückgehende Modell des Sozialismus ist keine in sich geschlossene eigenständige Lehre, sondern eine Abwandlung des Marxismus-Leninismus. Sie entstand vor allem aus der Opposition von Trotzki zu Stalin. Wesentliche Elemente sind die Theorie der „permanenten Revolution“, der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins „Sozialismus in einem Land“), das Ziel der Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“ in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am „proletarischen Internationalismus“.

Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h. sie versuchen, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet ihre eigene Ideologie Verbreitung über die unterwanderte Organisation.

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Mao Tse-tung
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Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893–1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes.

Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen („Kulturrevolution“) versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft zu den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen „Säuberungsaktionen“ forderten Millionen Tote.

Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968er- Bewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen Neuen Linken (sog. K-Gruppen). Heute bekennt sich lediglich die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) öffentlich zu Mao Tse-tung.

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