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Antisemitismus

Die offizielle Antisemitismus-Definition von Bundesregierung und Bayerischer Staatsregierung lautet:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische und nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.“

Antisemitismus ist Feindschaft gegen Juden, weil sie Juden sind. Sie werden als eine kollektive Gruppe betrachtet und ihnen explizit aufgrund ihrer jüdischen Herkunft negative Eigenschaften zugeschrieben. Daraus entstehen judenfeindliche Ressentiments, die sich in verbalen Anfeindungen bis hin zu physischen Angriffen manifestieren können. Antisemitismus kann auch Nichtjuden, Unternehmen und Institutionen zum Ziel haben, denen eine „Komplizenschaft“ mit Juden oder dem Staat Israel unterstellt wird.

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Antisemitischer WLAN-Name in München im Juni 2019
© RIAS Bayern

Rassistischer Antisemitismus behauptet eine angeblich genetisch bedingte Minderwertigkeit von Juden.

Sie seien eine Bedrohung für die durchweg positiv beschriebene und vermeintlich höherwertige „weiße“, „arische“ oder „nordische“ „Rasse“. Im Dritten Reich war rassistischer Antisemitismus Grundlage der Politik. Die Nürnberger Rassengesetze z. B. zielten nicht nur auf die systematische Ausgrenzung „der Juden“ aus der Gesellschaft. Sie bereiteten gleichzeitig den Boden für den als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichneten Massenmord der Nationalsozialisten an über sechs Millionen Menschen.

Am 3. Juli 2018 erreichte die Verwaltung einer bayerischen Gemeinde postalisch ein Schreiben mit antisemitischem, fremdenfeindlichem und volksverhetzendem Inhalt. Das mit Hakenkreuzen versehene Schreiben fordert die Verhaftung und Einweisung verschiedener, namentlich genannter Personen. Sollte die Gemeindeverwaltung nicht tätig werden,

„(...) werden volksdeutsche Kameraden die Dinge selbst in die Hand nehmen, um alle oben aufgeführten Kreaturen infolge Hochverrats am deutschen Volke der Vernichtung zuführen. (...)“,

heißt es in dem Schreiben. Darüber hinaus wird die Inhaftierung von Juden, Muslimen und sonstigen „fremdgenetischen Kreaturen“ gefordert. Es wird wiederholt gegen Juden gehetzt und deren Tod gefordert bzw. angekündigt.

Antisemitische Schmierschrift in Nürnberg im Juli 2019
© RIAS Bayern

Antizionistischer Antisemitismus gibt vor, Israel zu kritisieren, lehnt aber tatsächlich das Existenzrecht Israels ab.

Der jüdische Staat wird diffamiert, indem ihm ein „Vernichtungskrieg“ und eine Politik der „Ausrottung“ gegenüber den Palästinensern vorgeworfen werden. Die Feindschaft gegen den Staat Israel wird mit klassischen Stereotypen der Judenfeindschaft verbunden: von der jüdischen Finanzmacht bis hin zur jüdischen Weltverschwörung. Nicht jede Kritik an israelischer Politik ist zugleich antisemitisch konnotiert. Kriterien zur Abgrenzung sind Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelstandards. So wird antizionistischer Antisemitismus unter dem Deckmantel legitimer Israel-Kritik recht deutlich, wenn der jüdische Staat z. B. als „Apartheid-Staat“ per se verächtlich gemacht wird (Dämonisierung), ihm das Existenzrecht abgesprochen wird (Delegitimierung) oder ein Verhalten eingefordert wird, das so von anderen Staaten nicht verlangt wird (Doppelstandards).

Der NPD Landesverband Bayern empfahl auf Facebook am 15. Mai 2021 einen Artikel der NPD Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) mit dem Titel „Israel mordet und die Welt schaut zu“. Darin bezeichnen die JN Israel als „parasitären Staat“, der seit seiner Gründung eine „unvorstellbare Zahl an unmenschlichen Verbrechen begangen“ habe. Über die deutsche Israel Politik urteilten die JN:

„Ob dieser Kniefall vor dem zionistischen Zeitgeist langfristig zum Wohle der Deutschen [ist], dürfte klar zu verneinen zu sein. Denn Schuldkult, Überfremdung und Bekämpfung des authentischen nationalen Widerstandes sind die apodiktischen Wesensmerkmale der anti-deutschen Dreifaltigkeit seit der alliierten Implementierung des BRD-Systems. [...] Neben taktischen Erwägungen, sich am politischen Mainstream anzubiedern, um der gesellschaftlichen Ächtung zu entgehen, spielt in manchen Kreisen eine verquere christliche Solidarität mit den Juden eine Rolle. [...] Dabei waren es in der Vergangenheit zionistische Netzwerke, die einer Massenzuwanderung nach Deutschland förderten und nationale Kritik an der Landnahme zu unterbinden suchten.“
(Fehler aus dem Original übernommen)

Der NPD-Bundesverband kommentierte das 70-jährige Bestehen des Staates Israel auf Twitter am 14. Mai 2018 mit der Aussage:

„Israel ist und bleibt der Feind aller Völker, die um nationale und soziale Befreiung ringen.“

Die neonazistische Kleinpartei Der Dritte Weg verbreitet auf ihrer Website Handlungshinweise zum „Israel-Boykott“. Sie empfiehlt, Waren zu boykottieren und an Kundgebungen gegen die „verbrecherischen Völkermordmaßnahmen der Zionisten im Nahen Osten“ teilzunehmen. Außerdem sollten keine „prozionistischen Parteien“ gewählt werden. Als im Sommer 2014 der Gaza-Konflikt eskalierte, veröffentlichte Der Dritte Weg auf seinem Internetportal Artikel mit Überschriften wie „Deutschland feiert – Israel mordet“ und „Kindermörder Israel“.

Sekundärer Antisemitismus erhebt den Vorwurf, Juden würden die deutsche Verantwortung für den Holocaust und das Erinnern an NS-Verbrechen instrumentalisieren. So würden sie politische und finanzielle Interessen gegenüber Deutschland durchzusetzen. Diese Unterstellungen gehen häufig einher mit revisionistischen Ausführungen: es wird eine Umdeutung der deutschen Geschichte gefordert, der Holocaust geleugnet oder verharmlost. Rechtsextremisten unterstützen solche Revisionisten, wenden sich gegen deren Bestrafung und stilisieren sie zu „politischen Gefangenen“.

Am 30. Juni 2018 nahmen in Nürnberg 250 Personen an einer rechtsextremistischen Kundgebung unter dem Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen, für die Abschaffung des Paragrafen 130 StGB“ (Anm.: § 130 Strafgesetzbuch - Volksverhetzung/Holocaustleugnung) teil. Es sprachen mehrere Redner aus dem In- und Ausland, die sich mit teilweise antisemitischen und verschwörungstheoretischen Beiträgen zum Kundgebungsmotto äußerten. Während der Veranstaltung zeigten Teilnehmer Transparente, Schilder und Flaggen mit Parolen wie „politische Gefangene freilassen JETZT!“, „Freiheit für Ursula Haverbeck und alle Gefangenen der BRD“. Die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck war am 7. Mai 2018 zur Durchsetzung einer zweijährigen Haftstrafe wegen Volksverhetzung festgenommen worden.

Der rechtsextremistische Aktivist und Videoblogger Nikolai Nerling („Der Volkslehrer“) wurde vom Amtsgericht Dachau im Dezember 2019 wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er im Rahmen eines Besuchs der KZ-Gedenkstätte Dachau im Februar 2019 den Holocaust leugnete. Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht München II im November 2020 wurde dieses Urteil, gegen das Nerling laut eigener Aussage in Revision gehen möchte, bestätigt.

Politischer Antisemitismus beschreibt „die Juden“ als einflussreiche Macht. Rechtsextremisten unterstellen ihnen, über finanziellen Einfluss Regierungen, Wirtschaft und Medien zu steuern. In dieser Agitation nehmen vielfältige Verschwörungstheorien breiten Raum ein. Sie besitzen mitunter eine lange Tradition und beziehen sich z. B. auf die historische Schrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“. Diese liefert vermeintliche Belege für eine weltweite „Verschwörung des Judentums“, ist aber eine um das Jahr 1900 fabrizierte Fälschung.

Seit einigen Jahren nutzen Rechtsextremisten in ihren antisemitischen Verschwörungstheorien auch die Chiffre „George Soros“. Dem Milliardär jüdischer Abstammung, der zivilgesellschaftliche Akteure in verschiedenen Ländern unterstützt, wird u. a. unterstellt, gezielt Masseneinwanderung nach Europa zu befördern. Es wird ein Bild von ihm gezeichnet, das den typischen antisemitischen Stereotypen von der vermeintlichen Weltverschwörung einer jüdischen Finanzelite entspricht.

Am 4. Mai 2019 fand in Greding ein Treffen der AfD-internen Sammlungsbewegung Der Flügel (Flügel) statt. Hauptredner war Björn Höcke. Höcke ist Gründungsmitglied des Flügels und Vorsitzender des AfD-Landesverbandes und der AfD-Landtagsfraktion in Thüringen. Er bediente in seiner Rede vor etwa 450 Besuchern des Flügel-Treffens unterschwellig auch Gedankengut des politischen Antisemitismus. Er sagte mit Blick auf George Soros:

„(…) die EU ist in ihrer heutigen Form nichts anderes als eine neoliberalistische Globalisierungsagentur, die den volkszerstörenden und als pervers zu bezeichnenden Ungeist eines George Soros exekutiert.“

Die deutsche Bundeskanzlerin bezeichnete Höcke ferner als „Soros-Kundin“.

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Antisemitismus kann demnach unterschiedliche Ausprägungen annehmen und beschränkt sich nicht auf offenen Hass und Gewalt gegen Juden. Angehörige der rechtsextremistischen Szene sprechen beispielsweise häufig zwar nicht direkt von „den Juden“, sondern nutzen Chiffren und Metaphern, um den antisemitischen Kern ihrer Propaganda zu verschleiern.

Beispiele hierfür sind Verweise auf die „amerikanische Ostküste“, eine „zionistische Lobby“ oder eine „Hochfinanz“, die als Verantwortliche für geheime Machenschaften genannt werden. So wird dem US-amerikanisch-ungarischen Milliardär jüdischen Glaubens George Soros, der zivilgesellschaftliche Akteure in mehreren Staaten fördert, in antisemitischen Verschwörungstheorien unterstellt, als Kopf einer „jüdischen Finanzelite“ u. a. gezielt die Masseneinwanderung nach Europa zu befördern. Auch werden im konkreten Kontext negativ besetzte Bilder, die Juden als „Marionettenspieler“ oder „Spinnen“ zeigen, für antisemitische Agitation eingesetzt. Diese bereits aus dem Nationalsozialismus bekannte Bildsprache soll die angebliche Verschwörung von Menschen jüdischen Glaubens zum Erreichen der Weltherrschaft verdeutlichen. Die alte Verschwörungstheorie einer „jüdischen Weltherrschaft“ wird dabei immer weitergesponnen, sowie regelmäßig erneuert und um zeitgenössische und regionale Elemente ergänzt. So wurde sie in den 1950er Jahren unter der Bezeichnung „New World Order“ (deutsch: „Neue Weltordnung“) durch US-amerikanische Rechtsextremisten wieder in Umlauf gebracht. Auch während der Corona-Pandemie wurden bereits bekannte Unterstellungen wieder sichtbar. So wurde u. a. behauptet, dass „die Juden“ an der Verbreitung sämtlicher Krankheiten Schuld seien und die zugehörigen Impfstoffe mit böswilligen Absichten entwickelt hätten.

Im Rahmen der Proteste gegen die pandemiebedingten Beschränkungsmaßnahmen kam es in sozialen Medien und auf Versammlungen immer wieder zu Vergleichen zwischen den Corona-Impfungen und Menschenversuchen oder sogar dem Holocaust. Bei Protesten waren wiederholt auch verfremdete „Judensterne“ zu sehen, wie sie jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger unter der NS-Diktatur ab 1941 tragen mussten. Derartige Anspielungen und Bezugnahmen sollen die angebliche Opferposition der Nichtgeimpften beziehungsweise der Impfgegner aufwerten und verdeutlichen. Zugleich können sie auch eine Verharmlosung des Holocaust darstellen.

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