Thesen

Reichsbürger berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z. B. der Rechtsstand von 1937, 1914 (zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges) oder auch 1871 genannt. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten.

Selbstverwalter sind Einzelpersonen, die behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundesrepublik austreten und seien so nicht mehr deren Gesetzen unterworfen. Die dafür genutzten Argumente sind im Wesentlichen deckungsgleich mit denen der Reichsbürger. Selbstverwalter definieren beispielsweise ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet. Ihr Grundstück markieren sie mitunter durch eine (Grenz-) Linie und zeigen als „Staatswappen“ Symbole, die sie selbst entwerfen.

Gemeinsam haben beide Szene-Strömungen, dass sie aus ihren jeweils unterschiedlichen Begründungen und Motiven heraus die Gültigkeit bundesdeutscher Rechtsnormen für sich verneinen und daher bereit sind, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Damit geht einher, dass sie auch allen Staatsbediensteten die Legitimität für hoheitliches Handeln in Abrede stellen und amtliche Schreiben, Maßnahmen oder gerichtliche Urteile rundweg ablehnen.

Viele Szeneanhänger bedienen sich dabei aus dem Baukasten der zahlreichen im Umlauf befindlichen (Falsch-)Behauptungen und Verschwörungstheorien anderer Reichsbürger und Selbstverwalter. So finden sich häufig wortgleiche Formulierungen oder nahezu identische „Formblätter“ auf verschiedensten reichsideologischen Internetpräsenzen. Auch formale und stilistische Brüche innerhalb der Schriftstücke belegen, dass frei nach „Copy & Paste“-Manier alles zusammengewürfelt wird, was der eigenen Auffassung dienlich ist – oder zumindest zu nachhaltiger Verwirrung des Adressaten führen könnte.

Nachfolgende Behauptungen finden sich dabei immer wieder:

  • Das Deutsche Reich existiere nach wie vor.
  • Die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat.
  • Es gäbe keinen Friedensvertrag mit den Alliierten. Deutschland befände sich weiter im Kriegszustand.
  • In Deutschland fänden die Regeln der Haager Landkriegsordnung (HLKO) Anwendung.
  • Das Grundgesetz sei keine Verfassung oder sei nicht oder nicht mehr gültig.
  • Die Bundesrepublik Deutschland sei untergegangen.
  • Die Bundesrepublik Deutschland sei eine Firma namens „BRD GmbH“.

Die aufgestellten Behauptungen beinhalten zum Teil aus dem Zusammenhang gerissene Halbwahrheiten, oder sind frei erfunden oder beruhen nicht zuletzt auf einer fehlerhaften Rechtsauslegung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass das Grundgesetz die Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands ist.

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Um ihre Ideologie zu unterfüttern bedienen sich Reichsbürger und Selbstverwalter aus einem Sammelsurium falscher Mutmaßungen, „alternativer Fakten“ und Verschwörungstheorien, die in der Szene im Umlauf sind. Was sind typische Behauptungen und was steckt dahinter?

Im Folgenden werden Aspekte der Reichsbürger- und Selbstverwalter-Ideologie anhand einschlägiger Begriffe erläutert, die Szeneangehörige in ihrer Agitation verwenden und dabei mit eigenen Deutungen aufladen.

 

Behauptung: Eine Militäreinrichtung namens Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) übe die Regierungsgewalt in Deutschland aus.

Diese Behauptung ist falsch, kursiert aber schon seit mehreren Jahren in verschiedenen Erzählungen in der Szene.

Eine Person, die sich als „SHAEF Commander“ bezeichnet, spricht mindestens seit Sommer 2020 in Sozialen Netzwerken diverse „militärische Befehle“ und „Todesurteile“ aus. Nach Eigendarstellung kommandiere sie das Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF; übersetzt etwa: Oberkommando der alliierten Streitkräfte, vom Wortlaut also identisch mit der historischen, im Zweiten Weltkrieg errichteten militärischen Struktur bei der Eroberung Westeuropas durch alliierte Truppen). Anfangs richteten sich die Drohungen des „SHAEF Commanders“ vor allem gegen Politiker, inzwischen sind aber verschiedene Berufsgruppen und Personen Ziel dieser Drohungen geworden. Bei bayerischen Behörden gingen immer wieder Schreiben ein, in denen staatlichen Stellen unter Verweis auf angebliche „SHAEF-Gesetze“ die Legitimität abgesprochen wurde.

 

Behauptung: Das Staatswesen des historischen Deutschen Reiches existiere real weiter.

Diese Behauptung ist falsch.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1973 in einer Entscheidung zum damalig zwischen Bundesrepublik und DDR geschlossenen so genannten Grundlagenvertrag festgestellt, dass das Deutsche Reich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht untergegangen ist. Es ist in der Bundesrepublik aufgegangen; die Bundesrepublik ist mit dem Deutschen Reich identisch, hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung teilidentisch. Insofern ist die Aussage, das Deutsche Reich existiert weiter, zutreffend. Dies gilt jedoch nur in einem staats- und völkerrechtlichen Sinne. Für das Alltagsleben in der Bundesrepublik Deutschland hat dies keine Bedeutung. Ein realweltlich fortbestehendes Deutsches Reich ist ein Fantasieprodukt der Reichsbürger-Szene.

Deutsches Reich war der offizielle Name des deutschen Staates während der Zeit des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918), der Weimarer Republik (1918-1933) und der NS-Diktatur (1933-1945). Zentral für die Ideologie der Reichsbürger-Szene ist die Ablehnung der völkerrechtlichen Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Szeneanhänger berufen sich auf das Deutsche Reich, wobei sie sich auf unterschiedliche historische und völkerrechtliche Zustände beziehen. Es wird z. B. der Rechtsstand von 1937, 1914 „zwei Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges“ oder auch 1871 genannt. Reichsbürger glauben, das Deutsche Reich würde real weiter existieren. Teils behaupten sie, das vermeintlich real fortbestehende Deutsche Reich befände sich in einer Art Dornröschenschlaf; es müsse durch die Ausrufung einer „Reichsregierung“ und die Etablierung diverser „Reichsbehörden“ wieder handlungsfähig gemacht werden.

 

Behauptung: Die Bundesrepublik sei ein illegitimes Verwaltungskonstrukt ohne staatliche Befugnisse (mitunter bezeichnet als BRiD, „Bundesrepublik in Deutschland“) oder ein privates Wirtschaftsunternehmen namens „BRD GmbH“.

Diese Behauptung ist falsch.

In der Ideologie der Reichsbürger und Selbstverwalter spielen solche falschen, verschwörungstheoretischen Behauptungen eine große Rolle. Sie sind frei erfunden oder basieren auf einer falschen Deutung rechtlicher Regelungen und historischer Prozesse. So heißt es z. B., die alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs würden Deutschland bis heute besetzt halten. Mit der Bundesrepublik hätten sie ein Marionetten-Regime zur heimlichen Unterdrückung der deutschen Bevölkerung errichtet. Die Bundesrepublik sei als „Staatssimulation“ eine Art Verwaltungskonstrukt ohne staatliche Handlungsfähigkeit. Tatsächlich würde das historische Deutsche Reich fortbestehen, was der Bevölkerung von den illegitimen Machthabern aber verschwiegen werde. Andere Szeneangehörige sprechen von einem privaten Wirtschaftsunternehmen namens „BRD GmbH“. Diese sei von den Alliierten oder der UNO nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden, um Deutschland treuhänderisch zu verwalten.

 

Behauptung: Der bundesdeutsche Personalausweis sei kein Dokument zum Nachweis der Identität, sondern schreibe dem Inhaber einen rechtlosen Status als „Personal“ der „BRD GmbH“ zu.

Diese Behauptung ist falsch.

Reichsbürger und Selbstverwalter bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat. Sie glauben u. a. an die Herrschaft eines privaten Wirtschaftsunternehmens namens „BRD GmbH“ in Deutschland. Als vermeintlichen Beleg führen sie die Bezeichnung des Personalausweises an: Der Inhaber sei kein Bürger mit verbrieften Rechten, sondern werde als rechtloses „Personal“ der „BRD GmbH“ ausgewiesen, die zu jeder Zeit nach Belieben über ihn verfügen könne. Szeneangehörige nutzen deshalb teilweise anstelle des amtlichen Personalausweises selbstgefertigte oder in der Szene erworbene Fantasie-„Personenausweise“.

Aufgrund des Gliedworts „Personal-“ mit Blick auf den Personalausweis auf ein wie auch immer geartetes Firmenpersonal zu schließen ist Unsinn. „Personal-“ leitet sich vom lateinischen personalis ab; dies bedeutet in etwa persönlich; also etwas, dass auf eine einzelne, bestimmte Person bezogen ist. Im Ersten Weltkrieg wurden im deutschen Kaiserreich erstmals die seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlichen amtliche Papiere zum Identitätsnachweis als Personalausweise bezeichnet. Während der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und der Nachkriegszeit existierten verschieden gestaltete und benannte Ausweisdokumente. 1951 wurde per Gesetz ein einheitlicher Ausweis für die Bürger der Bundesrepublik beschlossen, dieser wurde wieder Personalausweis genannt.

 

Behauptung: Das „BRD-System“ würde den Menschen eine so genannte juristische Person als fiktives rechtliches Konstrukt heimlich aufzwingen, um sie ihrer Freiheit zu berauben.

Diese Behauptung ist falsch.

Eine juristische Person ist eine Personenvereinigung (z. B. Verein, Unternehmen) oder Vermögensmasse (z. B. Stiftung) mit eigener Rechtsfähigkeit; d. h. sie kann durch Vertreter handeln, Rechte in Anspruch nehmen und muss rechtlichen Pflichten nachkommen. Reichsbürger und Selbstverwalter verstehen unter dem Begriff der „juristischen Person“ etwas völlig anderes als Nicht-Szeneangehörige. Sie behaupten, zum Zeitpunkt seiner Geburt sei der Mensch eine „natürliche Person“, also frei und Träger unveräußerlicher Menschenrechte. Sofort trete aber das „BRD-System“ in Erscheinung, in dem der Mensch mittels Geburtsurkunde und später Personalausweis, Steueridentifikationsnummer etc. „registriert“ werde. Mit dieser „Registrierung“ werde ein fiktives juristisches Konstrukt erschaffen, die so genannte „juristische Person“. Sie überlagere die „natürliche Person“, den freien Menschen, und zwinge ihn in Abhängigkeit und Unterdrückung des „BRD-Systems“. Diese heimlich aufgenötigte „juristische Person“ könne man aber mittels einer speziellen Willenserklärung abstreifen, einer so genannten Lebenderklärung. So würde man wieder zum freien, rechtlich selbstbestimmten Menschen. Steuerforderungen, Bußgeldbescheide, Gerichtsverurteilungen etc. bundesdeutscher Stellen hätten dann keine Gültigkeit mehr. Denn sie würden sich lediglich an die „juristischen Person“ richten, von der sich der Mensch losgesagt habe.

 

Behauptung: Durch ein selbstverfasstes Dokument, eine so genannte Lebenderklärung, könne man als Unterzeichner aus der staatlichen Rechtsordnung der Bundesrepublik „austreten“.

Diese Behauptung ist falsch.

So genannte Lebenderklärungen sind aufwändig gestaltete, handgeschriebene oder formularartig gefasste Dokumente, die Reichsbürger und Selbstverwalter erstellen. Darin versichern sie, lebendige und freie Menschen zu sein. Die Dokumente enthalten in einer gestelzten und pseudojuristischen Sprache zusammengewürfelte Zitate aus diversen Gesetzestexten, päpstlichen Bullen oder der Bibel. Teilweise wird auch ein Tropfen Blut oder ein Haar des Unterzeichners aufgebracht, die als dessen DNA-Probe dienen und seine Identität bestätigen sollen. Häufig werden die Lebenderklärungen von mehreren „Zeugen“ mit einer Unterschrift „beglaubigt“ und der Unterzeichner und die „Zeugen“ geben ihre Fingerabdrücke ab.

Reichsbürger und Selbstverwalter glauben, sie könnten mit einer Lebenderklärung die staatliche Rechtsordnung verlassen. Die „natürliche Person“, der freie Mensch, werden von einer „juristischen Person“ überlagert. Dieses fiktive Rechtskonstrukt des „BRD-Systems“ werde einem bei der Geburt heimlich aufgenötigt und zwinge einen in Abhängigkeit und Unterdrückung. Die „juristische Person“ könne man aber mittels der speziellen Willenserklärung der Lebenderklärung abstreifen. So würde man wieder zur „natürlichen Person“, zum freien, rechtlich selbstbestimmten Menschen. Steuerforderungen, Bußgeldbescheide, Gerichtsverurteilungen etc. bundesdeutscher Stellen hätten dann keine Gültigkeit mehr. Denn sie würden sich lediglich an die „juristischen Person“ richten, von der sich der Mensch losgesagt habe.

 

Behauptung: Deutschland habe keine Verfassung.

Diese Behauptung ist falsch.

Eine Verfassung enthält die Grundsätze, welche die Form eines Staates und die Rechte und Pflichten seiner Bürger festlegen; in Deutschland ist dies das Grundgesetz. Reichsbürger und Selbstverwalter negieren diesen Fakt und diskutieren intensiv, warum Deutschland keine gültige Verfassung habe. Hierbei spiegelt sich die ideologische Heterogenität der Szene wider. Einige Szeneangehörige argumentieren, das Grundgesetz sei von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst worden; deshalb sei es nur für das „Personal“ der privatrechtlichen und unter Kontrolle der Alliierten stehenden Firma „BRD GmbH“ gültig.

Andere Szeneangehörige schließen eine Wirksamkeit des Grundgesetzes gänzlich aus. Sie verweisen auf die Fortgeltung einer „Reichsverfassung“, beispielsweise von 1871 oder 1913. Begründet wird dies u. a. damit, dass der Name „Grundgesetz“ impliziere, es handele sich nicht um eine Verfassung. Eine Verfassung müsse auch exakt diese Bezeichnung tragen, weil ansonsten – unabhängig von den Inhalten – eine Verfassungsordnung nicht gegeben sei. Dies ist nicht korrekt; Grundgesetz und Verfassung sind Synonyme. Der Name Grundgesetz für die Verfassung der Bundesrepublik wurde seinerzeit gewählt, um den provisorischen Charakter bis zur Schaffung einer neuen Verfassung eines gesamtdeutschen Staates zu unterstreichen. Im Zuge der Wiedervereinigung 1990 fiel jedoch die politische Entscheidung, diese in Form eines Beitritts der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik zu organisieren. Deshalb wurde das Grundgesetz samt seinem Namen beibehalten.

Mit Blick auf die Wiedervereinigung argumentieren Szeneangehörige auch, dass das Grundgesetz 1990 außer Kraft getreten und die angeblich zwingend nötige Erarbeitung einer neuen Verfassung seitdem versäumt worden sei. Solche Auffassungen sind insbesondere in der Szene-Strömung der Selbstverwalter verbreitet. Diese sehen ihre eigene Person als Staat mit Gesetzgebungskompetenz an und geben sich eigene Fantasie-Verfassungen für ihr „selbstverwaltetes“ Territorium.

 

Behauptung: Der Staatsangehörigkeitsausweis sei nicht lediglich ein amtliches Dokument zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit. Sein Besitz beweise vielmehr eine „Rechtsstellung“ als Staatsangehöriger des vorgeblich weiter real existierenden Deutschen Reiches bzw. eines seiner historischen Gliedstaaten, ohne die man staatenlos sei.

Diese Behauptung ist falsch.

Der juristisch verbindliche Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit wird mit dem Staatsangehörigkeitsausweis erbracht. Dieses Dokument wird im Alltag praktisch nicht benötigt. Bei Behörden kann man seine deutsche Staatsangehörigkeit in aller Regel durch die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses belegen. Nur in besonderen Fällen – wenn der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit in Frage steht, z. B. bei einem adoptierten ausländischen Kind – kann ein Staatsangehörigkeitsausweis erforderlich sein.

In der Reichsbürger und Selbstverwalter-Szene war lange die Überzeugung vorherrschend, man brauche unbedingt einen Staatsangehörigkeitsausweis; szeneintern „Gelber Schein“ genannt, weil die Urkunde in gelber Farbe gehalten ist. Szeneangehörige glaubten, ohne „Gelben Schein“ staatenlos zu sein oder wollten mit dem Dokument ihre „Rechtsstellung“ als Staatsangehöriger des vorgeblich weiter real existierenden Deutschen Reichs bzw. eines seiner historischen Gliedstaaten belegen.

In den letzten Jahren entwickelten sich szeneinterne, kontrovers geführte Diskussionen um den „Gelben Schein“. Immer mehr Szeneangehörige vertreten die Auffassung, es handle sich lediglich um ein Dokument, das von der Firma „BRD GmbH“ bzw. deren „Bediensteten“ ausgestellt werde und so keine rechtliche Wirkung entfalten könne. In Einzelfällen wird mit Blick auf die vermeintliche Firma „BRD GmbH“ die Auffassung vertreten, der „Gelbe Schein“ dokumentiere lediglich eine „handelsrechtliche“ Staatsangehörigkeit und führe somit zu einer Art doppelter Staatsangehörigkeit („handelsrechtliche“ und „echte“), was ebenfalls abgelehnt wird. Andere Szeneangehörige vertreten eine „naturrechtliche“ Auffassung. Sie berufen sich auf ihre Eigenschaft als „Mensch“, der – im Gegensatz zur „juristischen Person“, die von der „BRD GmbH“ bzw. deren „Schein-Regierung“ konstruiert werde – die Feststellung einer Staatsangehörigkeit nicht benötige. Sie propagieren deshalb die „Staatenlosigkeit“.

 

Behauptung: Man könne sich rechtlich durch so genannte Rechtkonsulenten vertreten lassen; diese seien auf dem Gebiet des „Reichrechts“ durch „Praxisstudium“ bewanderte, vermeintlich vollwertige Rechtsvertreter.

Diese Behauptung ist falsch.

Einzelpersonen aus dem Geschäftemacher-Milieu der Szene nutzen für sich die Bezeichnung „Rechtkonsulent“. Sie knüpfen damit an den Namen des mittlerweile ausgestorbenen Berufsstands der Rechtskonsulenten an. Diese juristischen Laien boten – bis zu einer Änderung der Gesetzeslage Anfang des 20. Jahrhunderts darüber, wer Rechtsdienstleistungen erbringen durfte – Unterstützung für Ratsuchende außerhalb von Gerichtsverfahren an.

Die „Rechtkonsulenten“ der Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene gerieren sich als vollwertige Rechtsvertreter, die zugelassenen Rechtsanwälten gleichgestellt seien. Sie bieten ohne jede juristische Ausbildung vorgebliche „Rechtsberatungen“ im Sinne der Szene-Ideologie an, z. B. bei Auseinandersetzungen mit Behörden um Bußgelder oder Ähnliches. Ihre mit pseudojuristischen Fachausdrücken durchsetzten Ausführungen sind darauf angelegt rechtliche Kompetenz zu suggerieren, stellen sich bei näherer Betrachtung jedoch als völlig widersinnig heraus. Darüber hinaus bieten sie teilweise kostenpflichtige Vorträge und Seminare an, vertreiben Informationsmaterialen wie Handbücher und produzieren Fantasiedokumente, z. B. „Reichsreisepässe“. Dabei ist nicht immer eindeutig, inwieweit sie die vertretenen Ansichten tatsächlich teilen oder sie nur als Instrument zur Einkommensgenerierung betrachten.

 

Behauptung: Man könne selbst die Hoheitsmacht in einem bestimmten Gebiet übernehmen, indem man mit einer sogenannten Reaktivierung tradierte Staats- und Verwaltungsstrukturen, die dort vor der Bundesrepublik existiert haben sollen, für wiederhergestellt erkläre.

Diese Behauptung ist falsch.

Immer wieder erklären Szeneangehörige in Online-Veröffentlichungen oder Schreiben an Behörden bestimmte Gebiete wie eine real existierende Gemeinde oder eine historische Region zum „Hoheitsgebiet“ ihrer jeweiligen Reichsbürgergruppierung. Dazu werden pseudojuristische Argumente angeführt. Ein Absender eines solchen „Reaktivierungsschreibens“, das bei einer bayerischen Behörde einging, bezog sich etwa auf „das tatsächliche und höherrangige Eigentumsrecht der Erstbesiedlung durch unsere germanischen Ahnen im hiesigen Raum“. Auch die 2016 in Berlin gegründete Reichsbürgergruppierung Geeinte deutsche Völker und Stämme fiel mit „Reaktivierungen“ auf, bis sie im März 2020 vom Bundesinnenministerium verboten und aufgelöst wurde. Ihre bundesweite Struktur umfasste in Bayern, nach eigener Darstellung, mehrere „reaktivierte“ Gemeinden.

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Die Anhänger der Reichsbürgerszene eint zwar die grundsätzliche Ablehnung des bundesdeutschen Staatswesens, ideologisch und organisatorisch ist die Bewegung jedoch heterogen. In der Szene gibt es Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextremisten, Querulanten, Esoteriker und verschiedene Personengruppen, die untereinander konkurrieren und persönliche oder ideologische Konflikte austragen.

Über die Notwendigkeit, einen Staatsangehörigkeitsausweis, den sogenannten „Gelben Schein“, zu beantragen, bestand innerhalb der Reichsbürgerszene lange Zeit weithin Übereinstimmung. Reichsbürger gingen davon aus, ohne Staatsangehörigkeitsausweis staatenlos zu sein. Als Beleg dafür führten sie den Begriff „Personalausweis“ an, in dem das Wort „Personal“ enthalten ist. Als „Personal“, so die Reichsbürger, bezeichne man ausschließlich Angehörige einer Firma, hier der „Firma BRD“. Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhoffte sich dieser Personenkreis – rechtlich völlig unzutreffend – u. a. den „Ausstieg aus der Firma BRD“. Der „Gelbe Schein“ wurde zudem als Nachweis der „Rechtsstellung“ als Staatsangehöriger eines Bundesstaats des bzw. eines vorgeblich fortbestehenden „Deutschen Reichs“ angesehen.

Nach wie vor sind diese Annahmen für Teile der Szene relevant. Zunehmend entwickeln sich jedoch auch kontrovers geführte Diskussionen um den „Gelben Schein“, in denen sich die Heterogenität der Szene widerspiegelt. So vertreten immer mehr Reichsbürger die Auffassung, es handle sich lediglich um ein Papier, das von der Firma „BRD-GmbH“ bzw. deren „Bediensteten“ ausgestellt werde, weshalb der „Gelbe Schein“ keine rechtliche Wirkung entfalten könne. In Einzelfällen wird mit Blick auf die vermeintliche Firma „BRD-GmbH“ die Auffassung vertreten, der „Gelbe Schein“ dokumentiere lediglich eine „handelsrechtliche“ Staatsangehörigkeit und führe somit zu einer Art doppelter Staatsangehörigkeit („handelsrechtliche“ und „echte“), was ebenfalls abgelehnt wird.

Andere vertreten eine „naturrechtliche“ Auffassung und berufen sich auf ihre Eigenschaft als „Mensch“, der – im Gegensatz zur „juristischen Person“, die von der „BRD-GmbH“ bzw. deren „Schein-Regierung“ konstruiert werde – die Feststellung einer Staatsangehörigkeit nicht benötige. Sie propagieren deshalb die „Staatenlosigkeit“.

Vergleichbare Diskussionen innerhalb der Szene finden sich auch bei der für die Reichsbürgerszene zentralen Fragestellung, ob Deutschland eine gültige Verfassung habe. Hier finden sich zum Beispiel Argumentationsmuster, wonach das Grundgesetz nur für die juristische Person bzw. das Personal der privatrechtlichen und unter Kontrolle der Alliierten stehenden Firma „BRD-GmbH“ gültig sei, da es von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst worden sei.

Andere Positionen schließen eine Wirksamkeit gänzlich aus und verweisen vielmehr auf die Fortgeltung einer „Reichsverfassung“, beispielsweise von 1871 oder 1913. Begründet wird dies u. a. damit, dass der Name „Grundgesetz“ impliziere, es handele sich nicht um eine Verfassung.

Wieder andere argumentieren, dass das Grundgesetz mit dem Beitritt der DDR außer Kraft getreten und eine neue Verfassung ausgeblieben sei. Solche Auffassungen sind auch unter Selbstverwaltern verbreitet, die ihre eigene Person als Staat mit Gesetzgebungskompetenz ansehen und sich eine eigene Verfassung für ihr „selbstverwaltetes“ Territorium geben. Die verschiedenen Positionen werden unter Zuhilfenahme von pseudojuristischen Formulierungen und Argumenten vertreten, ein Konsens wird dabei in aller Regel nicht erreicht.

Diese unterschiedlichen ideologischen Auffassungen und persönlichen Konflikte führen teilweise zur Aufspaltung von (real existierenden oder virtuellen) Gruppen, bzw. zur Gründung neuer Gruppierungen, die zueinander in Konkurrenz stehen und jeweils für sich in Anspruch nehmen, die einzig legitimen (Rechts-) Nachfolger des „Deutschen Reichs“ zu sein. Einzelpersonen, die der eigenen Rechtsauffassung nicht folgen, werden aus einem in der jeweiligen Vereinigung bekleideten „Amt“ mit Hilfe sogenannter „Entstallungsurkunden“ entlassen oder auch durch Infragestellung der persönlichen Kompetenz diskreditiert. Durch die Aufspaltung von Gruppierungen vervielfachen sich zudem die Möglichkeiten, einen der Fantasie-Titel und Posten zu erlangen, die Reichsbürgergruppierungen häufig vergeben. Mit diesen erfundenen Titeln wie z. B. „Kommissarischer Reichsminister“ befriedigen Reichsbürger ihr persönliches Geltungsbedürfnis.

Aufgrund dieses Konkurrenzverhaltens und der teilweise entgegengesetzten ideologischen Auffassungen ist das Entstehen einzelner mitgliedsstarker Organisationen, die eine Führungsrolle innerhalb der Reichsbürgerszene einnehmen könnten, derzeit nicht abzusehen.

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