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Unstrukturiertes Personenpotenzial

Dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial werden Szeneangehörige zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation (mehr) zugerechnet werden können. Hierzu zählen beispielsweise Personen, die rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten begangen haben oder rechtsextremistische Aktivitäten im Internet verfolgen sowie subkulturell geprägte Einzelpersonen. Diesem Personenpotenzial werden in Bayern etwa 1.410 Personen (2021: 1.460) zugerechnet.

Unter Internetaktivisten sind Personen zu verstehen, die intensiv Artikel und Kommentare sowie Videos posten und so versuchen, die Meinung in sozialen Netzwerken zu beeinflussen. Da in der Anonymität des Internets die persönliche soziale Ächtung in der Regel ausbleibt, äußern sich Personen dort häufig extremer als im realen sozialen Umfeld. Gerade bei emotionalen Diskussionen werden in den sozialen Medien, Foren oder Blogs immer wieder straf- oder verfassungsschutzrechtlich relevante rechtsextremistische Äußerungen getätigt.

Das Internet wird von rechtsextremistischen Einzelpersonen dazu genutzt, manipulative und extremistische Inhalte zu verbreiten. Sie wollen ein Klima von Misstrauen und Hass gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden, aber auch gegenüber etablierten Medien, staatlichen Einrichtungen und dem demokratischen Prozess schaffen. Soziale Medien bieten diesen Einzelpersonen niedrigschwellige Möglichkeiten, in virtuellen Räumen verfassungsfeindliche Propaganda zu betreiben, sich zu vernetzen und Aktionen zu planen, die im äußersten Fall zur Begehung von schweren Straftaten in der Realwelt, wie Angriffen gegen Repräsentanten des Staates und der Politik, führen können.

Das im Internet aktive unstrukturierte Personenpotenzial geht weit über das bekannte partei- und organisationsgebundene rechtsextremistische Spektrum hinaus und ist zahlenmäßigen Schwankungen unterworfen.

Vor dem Hintergrund staatlicher und regulatorischer Maßnahmen gegen ihr Wirken im Internet halten Rechtsextremisten ständig Ausschau nach alternativen Plattformlösungen und neuen Online-Formaten, um ihre Propaganda und ihre extremistischen Botschaften möglichst effektiv zu streuen. Nachdem einige Anbieter wie Facebook und Twitter Sperrungen von rechtsextremistischen Nutzern und Gruppierungen vorgenommen haben, ist eine Abwanderung zu alternativen Plattformen wie vk.com oder Telegram festzustellen. Neben sozialen Netzwerken spielen für Rechtsextremisten dabei insbesondere auch sogenannte Imageboards (z. B. 8kun und pr0gramm) eine wichtige Rolle. Diese Plattformen sind nicht als extremistisch zu bewerten, werden aber von einzelnen Nutzern beziehungsweise Nutzergruppen für extremistische Zwecke herangezogen. Dabei ist zu beobachten, dass häufig Formate gewählt werden, die nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne erfordern. So werden Botschaften in Form von sogenannten „Memes“ verbreitet. Extremisten nutzen diese Darstellungsform insbesondere dazu, verfassungsfeindliche Inhalte in einen verharmlosenden Kontext zu stellen, um so die Akzeptanz solcher Aussagen zu erhöhen und die Grenze des „Sagbaren“ zu erweitern. Besondere Bekanntheit kommt hierbei einem Comic-Frosch mit dem Namen Pepe zu. Über Darstellungen der Figur werden häufig extremistische Inhalte auf eine vermeintlich lustige Art verbreitet, um insbesondere junge Nutzer anzusprechen. Der Einsatz digitaler Medienformate und Verbreitungstechniken dient auch zu Vernetzungszwecken, zum internen Austausch sowie zur Absprache von Aktionen. Gerade hier versuchen Rechtsextremisten durch den Einsatz von Diensten und Kommunikationskanälen mit hohen Verschlüsselungs- und Anonymisierungsstandards sich der Beobachtung durch Öffentlichkeit und Sicherheitsbehörden zu entziehen. In sozialen Netzwerken gründen sie geschlossene Foren und Chatrooms zur szene-internen Kommunikation. Dies ermöglicht etwa die Weitergabe strafrechtlich relevanter Inhalte. Messenger-Dienste spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation von Aktionen, Veranstaltungen und Konzerten.

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Großkonzerte üben aufgrund des Eventcharakters eine große Anziehungskraft auch auf Personen aus, die keinen rechtsextremistischen Parteien oder Gruppierungen angehören. So werden bei Konzertveranstaltungen rechtsextremistische Inhalte nicht nur durch entsprechende Songtexte vermittelt, sondern darüber hinaus politische Botschaften – etwa durch Verteilaktionen von rechtsextremistischem Propagandamaterial oder durch rechtsextremistische Redebeiträge – transportiert.

Die Veranstaltungen dienen ferner der Kontaktpflege und sollen den Zusammenhalt innerhalb der Szene, gerade auch mit nicht organisierten Aktivisten, festigen. Daher sind regelmäßige Konzertbesucher dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zuzurechnen, auch wenn sie nicht festen rechtsextremistischen Strukturen angehören.

In der Vergangenheit fanden außerhalb Bayerns immer wieder Großveranstaltungen statt. Dazu zählt insbesondere das Konzert „Rock gegen Überfremdung“ im Juli 2017 in Themar (Thüringen) mit etwa 6.000 Besuchern. Bei dem Konzert nahmen etwa 300 Personen aus Bayern teil, die zu einem nicht unerheblichen Teil dem unstrukturierten Rechtsextremismus zugerechnet werden können. Auch im thüringischen Themar fand am 8. und 9. Juni 2018 die von der NPD organisierte Veranstaltung „Tage der nationalen Bewegung – Musik- und Redebeiträge für Deutschland“ statt. Die Veranstaltung wurde auch von bayerischen NPD-Kreisverbänden auf Facebook beworben. In der Spitze nahmen über 2.200 Personen aus dem In- und Ausland teil. Redner waren Funktionäre der NPD und der Partei DIE RECHTE. Aus Bayern trat der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke auf.

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Um junge Menschen zu gewinnen, hat sich die rechtsextremistische Szene in Mode und Ideologie geöffnet. Die einst szenetypischen Glatzen und Springerstiefel der Skinheads sind weitestgehend verschwunden. Piercings, längere Haare, Basecaps oder bestimmte Kleidermarken und sogar Stilelemente aus dem „linken“ und linksextremistischen Spektrum wurden übernommen. Eine rechtsextremistische Gesinnung ist somit äußerlich
nur noch schwer zu erkennen. Auf diese Weise sollen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, Polizeikontrollen oder Probleme mit Eltern, Freunden, in der Schule oder im Beruf vermieden werden. In vielen rechtsextremistischen Subkulturen gibt es in der Regel weder feste Organisationsstrukturen noch formelle Mitgliedschaften.

Die rechtsextremistische Szene versucht zudem, ihre Feindbilder und Ideologien in Jugendszenen einfließen zu lassen, um weitere Mitglieder zu gewinnen und jugendrelevante Trends und Stile mitzuprägen. Von Black Metal und Hatecore bis hin zu Rap, Vaporwave und anderen sind sämtliche jugendkulturelle Stilspektren von Vereinnahmungsversuchen durch die rechtsextremistische Szene betroffen.

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Teile der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene nähern sich in ihrem Erscheinungsbild und ihren internen Strukturen vermehrt an die Rockerszene an. So wählen sie beispielsweise englischsprachige Gruppenbezeichnungen, tragen „Kutten“ (Motorradjacken, auf deren Rückenteil das Gruppenlogo aufgenäht ist), pflegen rockerähnliche Aufnahmerituale für Neumitglieder und benennen interne Hierarchieebenen mit englischen Begriffen wie „President“ oder „Secretary“.

Ein Beispiel ist das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Gruppierung Oldschool Society (OSS), deren Mitglieder am 15. März 2017 vom Oberlandesgericht München zu mehrjährigen Haftstrafen aufgrund der Bildung einer terroristischen Vereinigung gem. § 129 a StGB verurteilt wurden. Ihre Struktur lehnte sich an die von Rockergruppen an. So bestand die Führungsebene unter anderem aus „President“, „Vice-President“, „Secretary“ und „Sergeant at Arms“.

Die mit Abstand mitgliederstärkste Skinhead-Gruppierung in Bayern, „Voice of Anger“, weist ebenfalls in Teilen Ähnlichkeiten mit Rockergruppierungen auf. So orientiert sich beispielsweise eines ihrer Aufnahmeverfahren am sogenannten „Prospect“-Status der Rocker. Es ist aber weder eine strukturierte Zusammenarbeit noch eine ideologische Annäherung zwischen der rechtsextremistischen Szene und der „1-Prozenter“-Rockerszene in Bayern feststellbar. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihrer teilweise hohen Anteile an Mitgliedern mit Migrationshintergrund ab. Es bestehen aber punktuell personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene, die zumeist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurückgehen.

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