Unter falscher Flagge: Rechtsextremisten instrumentalisieren „Anti-Corona-Proteste“

Die Corona-Pandemie ist nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein gesellschaftliches Thema. Extremisten verschiedener politischer Couleur versuchen seit 2020, Verunsicherungen und Emotionen im Sinne ihrer Ideologien zu instrumentalisieren. Auch Rechtsextremisten sind hier aktiv und treten teilweise subtil auf.

Rechtsextremisten nehmen die gesellschaftlichen Debatten rund um Corona auf, thematisieren aber hauptsächlich die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung. Dabei agitieren sie gegen eine vermeintliche Aushebelung von Grundrechten und überziehen staatliche Stellen mit einer unsachlichen und irreführenden Fundamentalkritik. Über das Protestgeschehen gegen Corona-Schutzmaßnahmen versuchen Rechtsextremisten Anschluss an weitere Bevölkerungskreise zu finden. Dabei treten diese in der Regel nicht auf den ersten Blick erkennbar – etwa durch das Tragen einschlägiger Kleidung oder Banner – als Aktivisten rechtsextremistischer Gruppierungen auf. Auf diese Weise versuchen sie auch bei Personengruppen Gehör zu finden, die sie bislang nicht durch offen rassistische und fremdenfeindliche Agitation erreichen konnten.

Der Aufruf des Kollektiv Zukunft schaffen Heimat schützen (KZSHS)
© Screenshot Telegram, gesichert: 21. Dezember 2021

Ein Beispiel: Seit dem 15. Dezember 2021 mobilisierte die rechtsextremistische Gruppierung Kollektiv Zukunft schaffen Heimat schützen (KZSHS) offen einsehbar über den Messenger-Dienst Telegram für einen „vorweihnachtlichen Abendspaziergang gegen die Spaltung“ am 22. Dezember 2021 im unterfränkischen Ebern. Der Aufruf zur Versammlung lässt auf den ersten Blick keinen Bezug zum Rechtsextremismus erkennen.

Bei KZSHS handelt es sich jedoch um eine dem subkulturellen Rechtsextremismus zuzurechnende Gruppierung aus dem Raum Nordbayern mit einer ideologischen Nähe zum Neonazismus. Aktivitäten von KZSHS konnten sowohl realweltlich als auch virtuell erstmals im Jahr 2021 festgestellt werden. Realweltlich trat die Gruppierung insbesondere mit der Durchführung von für die subkulturelle rechtsextremistische Szene typischen Freizeitaktivitäten, wie beispielsweise gemeinsame Wanderungen, in Erscheinung. Jedoch konnte auch die Teilnahme an dezidiert politischen Veranstaltungen zusammen mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen festgestellt werden. So gibt KZSHS in einem Beitrag vom 1. Mai 2021 beispielweise an, die rechtsextremistische Gruppierung Neue Stärke Erfurt am nationalen Arbeiterkampftag durch eine Demonstrationsteilnahme in Erfurt unterstützt zu haben. Über Telegram verbreitet KZSHS verfassungsfeindliche Agitation. Darüber hinaus verbreitet KZSHS ebenfalls über Telegram zahlreiche Beiträge anderer rechtsextremistischer Gruppierungen, wie der rechtsextremistischen NPD-Jugendorganisation JN sowie einen Aufruf des NPD-Bundesverbands. Außerdem teilte KZSHS vielfach Beiträge der neonazistischen Kleinstpartei Der Dritte Weg (III. Weg), darunter auch Postings, die als Wahlaufrufe für den III. Weg bei der Bundestagswahl vom 27. September 2021 zu verstehen sind. Mit ihrer Tätigkeit unterstützt KZSHS nachdrücklich auch die von diesen Organisationen ausgehenden, auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielenden Bestrebungen.

An dem sogenannten „Abendspaziergang“ am 22. Dezember 2021 in Ebern beteiligten sich auch Aktivisten des III. Wegs, ohne ihre Parteizugehörigkeit dabei offen zur Schau zu stellen. Die neonazistische Kleinstpartei ruft auf ihrer Webseite zur Teilnahme an weiteren „Anti-Corona-Protesten“ auf:

„Immer mehr Deutsche gehen bei Spaziergängen und / oder Versammlungen in der BRD auf die Straße. […] Egal wo, ob jung ob alt, ob ungeimpft, immer mehr Deutsche lassen sich nicht weiter durch diese Corona-Diktatur einschüchtern! Die nationalrevolutionäre Bewegung & Partei “Der III. Weg“ wird sich wieder bundesweit an den (Montags)-Protesten gegen die Corona-Zwangsmaßnahmen beteiligen.“

Diskussionsbeitrag in einer Telegram-Gruppe zum so genannten „Abendspaziergang“ am 22. Dezember 2021 in Ebern
© Screenshot Telegram, Name Ersteller geschwärzt, gesichert: 21. Dezember 2021

Der demokratische Rechtstaat der Bundesrepublik und die im Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit bieten einen breiten Raum für jedermann, sich zu entfalten.

Es ist völlig legitim, gesellschaftliche Themen umfassend zu diskutieren. Von offiziellen Stellen und der Bevölkerungsmehrheit abweichende Ansichten können in die Öffentlichkeit getragen werden. Dafür stehen in der Demokratie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Im Sinne der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als Basis für gesellschaftliche Freiheit ist es dabei allerdings notwendig, die demokratischen Spielregeln zu beachten.

Versammlungen müssen daher rechtzeitig im Vorfeld bei der Versammlungsbehörde angezeigt und etwaige Auflagen bzw. Beschränkungen beachtet werden. Dies gilt immer dann wenn sich mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung an einer bestimmten Stelle zur gleichen Uhrzeit treffen. Eine Umbenennung in Spaziergänge für solche Aktionen ändert daran nichts.

Aggressive Provokationen oder gar tätliche Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung sind zu verurteilen. Dies gilt auch für gewaltbeinhaltende Postings auf Sozialen Medien.

Niemand sollte sich von Extremisten vereinnahmen lassen – unabhängig davon, in welchem Spektrum sich diese verorten und welche politischen Ziele sie ausgeben.

nach oben